Jens Martin Neumann | Kunsthistoriker | Kiel
Eva Koj hat über die Jahre eine höchst individuelle Gefäßkeramik entwickelt, in deren Mittelpunkt einfache archaische Grundformen und raue rissige Strukturen stehen. Bestimmend wirken die ablesbare Ambivalenz von Künstlichkeit und Naturhaftigkeit, der spannungsvolle Kontrast aus schwerplastischem Volumen und fragiler Zerbrechlichkeit und die daraus resultierende Verschränkung ganz gegensätzlicher Gefäßerfahrungen. So entfalten die Arbeiten ihren besonderen, visuellen wie haptischen Reiz aus dem fein balancierten Ausgleich von ruhig statuarischer Objektgestalt und dynamisch organischem Formverlauf, von geschlossen massiger Körperform und spontan durchschluchtetem, porösem Tonmantel, von artifiziell runden Wölbungen und verzogen brüchigen Rändern – im Ganzen: zeichenhaft ins Bild gesetzte Metaphern zarter Vergänglichkeit wie pulsierender Lebendigkeit in künstlerisch geklärter Konzentration.
Das Tonobjekt bildet bei Eva Koj den Ausgangspunkt einer komplexen künstlerischen Untersuchung ihres Grundmaterials, in der sie auf vielfältige Weise diejenigen Mittel reflektiert, die einem Gefäß wesentlich sind. Zentrale Bedeutung besitzt für die Keramikerin der Eigenwert des Werkstoffs. Im Ton liegt bereits die Botschaft, so dass man ihre Gefäße jenseits traditioneller Funktionswidmung ganz aus der immanenten Realität des Kunstwerks begreifen muss. In unbedingt präziser Form- und Materialanalytik lotet sie dessen Eigenschaften als vehemente Aktion von Drehen und Dehnen, Ritzen und Brennen aus, bei der der Ton – zu hauchdünnem Scherben gedreht – unter dem kruden Druck der Kojschen Hände im Aufbrechen seine ihm ureigenen inneren Strukturen freigibt. Damit zeugen die geschlitzten, morbid gerissenen Außenwandungen und die gezackt geborstenen Kantenläufe von einer intensiven bildnerischen Entfaltung, einer wirklich existenziellen Aneignung des Materials, deren sichtbar überlieferte, buchstäblich eingebrannten Spuren die schmerzliche Schönheit des Steinzeugs ausmachen. Auch Farbakzente und lineare Texturen bleiben als eingeprägte Porzellan-Engoben oder Textilstempel vollständig im Ton des eigenfarbenen Scherbens gebunden. Ihre Arbeitsweise ist stets von diesem sicheren Wissen um die dem Ton gemäßen Ausdrucksformen geprägt, von einem Urvertrauen in seine ästhetischen Qualitäten.
Der Ton ist damit bei Eva Koj Träger einer Erzählung. Die im Aufreißen angezeigte Gefährdung der Objekte erschließt uns Betrachtern eine zeitliche Dimension, hier sitzt Flüchtigkeit in jeder Kerbe, spricht Gewachsensein aus jeder schwellenden Form. Über den materiellen Befund fransiger Abbruchkanten und zerklüfteter krustiger Oberflächen lassen sich Analogien zu geologischen Formationen oder natürlicher Vegetation ausmachen, und sie entstehen prinzipiell auch so. Ganz unmittelbar gerinnt hier organisches und erdgeschichtliches Wachstum zu einem künstlerischen Prinzip. Somit wird in der Kojschen Abstraktion ohne abzubilden Naturhaftes als Totalität von Feuer und Erde erfahrbar, stilisieren diese Keramiken, in denen das Material gleichsam zu sich selbst befreit wird, zum eindringlichen Bild von Wachsen und Vergehen, zum Substrat von Erinnerung.
Eva Kojs Arbeiten entwickeln eine eigenständige Objektdramatik und eine präzise, ganz aus dem Material und der künstlerischen Handlung ermittelte ästhetische Grammatik, die es zu entdecken gilt.